Wendepunkte: Zwischen kommerziellem Druck und kreativer Selbstfindung

Im Musikgeschäft kann ein einziger Song oder ein einziges Album den Verlauf einer gesamten Karriere bestimmen. Der schmale Grat zwischen künstlerischer Integrität und kommerziellem Erfolg stellt Musiker immer wieder vor entscheidende Prüfungen. Zwei Künstler, die solche Wendepunkte auf ganz unterschiedliche Weise erlebt haben, sind die US-amerikanische Singer-Songwriterin LP und die stilprägende Alternative-Rock-Band Jawbreaker. Während die eine ihren Durchbruch nach langen Jahren des Kampfes feierte, führte bei der anderen eine umstrittene Entscheidung zum Bruch mit den Fans – und schuf dennoch ein Werk für die Ewigkeit.

LP – Der späte Durchbruch unter der Sonne Kaliforniens

Die US-amerikanische Musikerin Laura Pergolizzi, besser bekannt als LP, hat mit ihrem Hit „Lost On You“ europaweit die Charts erobert. Doch der Weg dorthin war steinig. Auf ihrem neuen Album „Heart to Mouth“ betreibt die 37-Jährige eine Art musikalische Selbsttherapie, um die turbulenten Beziehungen der letzten Jahre zu verarbeiten. Sie weiß aus Erfahrung, dass kreative Phasen nicht auf Knopfdruck entstehen. Insbesondere bei der Arbeit am neuen Album musste sie sich durch längere kreative Durststrecken kämpfen.

LP hat jedoch gelernt, mit solchen Krisen umzugehen. „Songs zu schreiben ist wie Laufen zu gehen oder die Küche zu putzen. Man hat nicht immer Lust darauf, aber danach fühlt man sich definitiv besser“, erklärt sie. Als professionelle Songwriterin könne man es sich nicht leisten, auf eine zündende Idee zu warten. „Die Kunden warten auf deine Arbeit. Du musst jederzeit in der Lage sein, dich aufzuraffen und deinen Job zu machen, notfalls musst du dich eben dazu zwingen.“ Bevor sie selbst im Rampenlicht stand, schrieb sie bereits Hits für Weltstars wie Rihanna („Cheers (Drink To That)“), die Backstreet Boys und Christina Aguilera. Diese Arbeit im Hintergrund hat sie geprägt: „Die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern hat mir eine dicke Haut für meine eigene Karriere verschafft. Denn 90 Prozent der Leute, trotz toller Stimme und klasse Songs, werden von der Öffentlichkeit nie wahrgenommen.“

Ein neues Leben als Muse

Ihren eigenen großen Durchbruch verdankte LP einem glücklichen Zufall. Der Gitarrenpop-Song „Lost On You“ wäre beinahe „für immer auf meinem Computer geblieben“, stellt sie fest. „Ich hatte riesiges Glück, dass ein griechisches Label den Song lizenzierte. Das war wie ein Lottogewinn.“ Nach zwei Jahren auf Welttournee kehrte sie nach Hause zurück, um die Erlebnisse – beruflich wie privat – in neuen Liedern zu verarbeiten. So beschreibt die Ballade „Recovery“ aus der Perspektive einer Verflossenen den Schmerz, unerwartet verlassen zu werden.

Ihre große Muse ist jedoch Los Angeles. Vor acht Jahren zog Pergolizzi von New York nach Kalifornien – ein Schritt, den sie bis heute feiert. „Die engen Hochhausschluchten New Yorks habe ich immer als beklemmend empfunden. Seit ich in Kalifornien bin, kann ich endlich den Horizont sehen. Und natürlich das Meer.“ Es überrascht sie daher nicht, dass ihre neuen Lieder an den Westcoast-Pop der 70er-Jahre erinnern, an Bands wie die Eagles oder Fleetwood Mac. „Dieses sonnengetränkte, coole und entspannte Leben verkörpere ich gern“, sagt sie mit einem rauen Lachen. „Aber natürlich nicht ohne einen Schuss Wahnsinn.“

Der Fall Jawbreaker – Als Erfolg zum Verrat wurde

Ein Blick 30 Jahre zurück zeigt, wie anders die Spielregeln damals waren. In der Alternative-Rock-Szene der 90er-Jahre konnte der Vorwurf des „Ausverkaufs“ eine Karriere beenden. Ein Paradebeispiel dafür ist die Band Jawbreaker aus Kalifornien, die einst als die „nächsten Nirvana“ gehandelt wurde. Doch eine polarisierende Entscheidung rund um ihr viertes Album „Dear You“ führte zu massiven Fanprotesten, schlechten Verkaufszahlen und letztlich zur Auflösung der Band.

Jawbreaker galt als Ikone des anspruchsvollen Pop-Punks. Mit ihren ersten drei Alben hatten sie sich eine treue Fangemeinde erspielt und Genres wie Skate-Punk und frühen Emo maßgeblich beeinflusst. Ihr Album „24 Hour Revenge Therapy“ (1994) gilt bis heute als Meilenstein. Aufgrund ihrer komplexen Arrangements und der tiefgründigen Texte von Frontmann Blake Schwarzenbach wurden sie oft als „Green Day für Intellektuelle“ bezeichnet. Der wachsende Hype rief bald die großen Plattenfirmen auf den Plan.

Ein Meisterwerk, das seine Zeit brauchte

Obwohl die Band ihren Fans versicherte, der Independent-Szene treu zu bleiben, unterschrieb sie schließlich, zermürbt von endlosen Tourneen unter schlechten Bedingungen, einen Vertrag bei Geffen Records. Die Reaktion der Fans war verheerend. Die Angst, die Band würde ihre kreative Kontrolle verlieren, wuchs, als bekannt wurde, dass sie mit Produzent Rob Cavallo zusammenarbeiteten, der für Green Days kommerziell extrem erfolgreiches Album „Dookie“ verantwortlich war. Das Label witterte die Chance, Jawbreaker zu den Nachfolgern von Nirvana aufzubauen.

Das Ergebnis, das Album „Dear You“, erschien im September 1995. Während Kritiker den reiferen Stil und die Indie-Rock-Einflüsse lobten, wandten sich die Fans ab. Die Platte, die musikalisch ambitionierter war als alles zuvor und sowohl energiegeladene Songs wie „Save Your Generation“ als auch experimentellere Stücke enthielt, scheiterte kommerziell. Die Band zerbrach kurz darauf. Doch die Geschichte gab Jawbreaker recht: 30 Jahre später wird „Dear You“ als wegweisendes Werk gefeiert, das die Alternative-Szene nachhaltig geprägt hat – ein Beweis dafür, dass die Bedeutung von Kunst sich oft erst mit der Zeit entfaltet.