Depeche Mode: Ein Neuanfang im Schatten der Trauer und das Vermächtnis von „Memento Mori“

Eine gespannte Erwartung lag über dem Berliner Ensemble, als sich am Dienstagmittag eine schier endlose Menge schwarzgekleideter Menschen vor dem historischen Gebäude drängte. Hunderte internationaler Medienvertreter waren angereist, um einem Ereignis beizuwohnen, das viele Fans gleichermaßen herbeigesehnt und gefürchtet hatten. Es war der erste öffentliche Auftritt von Dave Gahan und Martin L. Gore nach dem schockierenden und völlig überraschenden Tod ihres Bandkollegen Andrew Fletcher am 26. Mai. Nach diesem Schicksalsschlag schossen Spekulationen ins Kraut, die Geschichte der Kultband könnte nun ihr endgültiges Kapitel erreicht haben. Doch in Berlin setzten die verbliebenen Mitglieder ein klares Zeichen des Fortbestands.

Die Weichenstellung in Berlin

Entgegen den düsteren Mutmaßungen verkündeten Gahan und Gore, dass Depeche Mode als Duo weitermachen wird. Die Pressekonferenz diente als Startschuss für eine neue Ära: Ein neues Studioalbum mit dem titelgebenden Namen „Memento Mori“ wurde für den kommenden März angekündigt, gefolgt von einer Welttournee im Sommer 2023. Während die offizielle Runde nur das Nötigste preisgab, gewährten die Musiker am Folgetag in kleinerem Rahmen tiefere Einblicke. Martin L. Gore, gut gelaunt und mit der leichten Bräune seiner kalifornischen Wahlheimat, wirkte gefasst und fokussiert, als er über die Genese des neuen Werks sprach.

Kreativität in Zeiten der Stille

Die musikalische Vision für „Memento Mori“ entstand unter besonderen Umständen. Gore beschreibt die Pandemie, fast zynisch, als eine produktive Zeit für Songwriter. Die erzwungene Ruhe ermöglichte es der Band, aus einer großen Auswahl an Material zu schöpfen. Interessanterweise stand der albumgebende Titel bereits fest, noch bevor Andrew Fletcher verstarb. Gore legt Wert auf die Feststellung, dass die neuen Songs nichts Morbides an sich haben, obwohl der Titel dies vermuten lassen könnte. Vielmehr bewegt sich die Band auf dem für sie typischen schmalen Grat zwischen melancholischer Grundstimmung und dem Anspruch, echte Popsongs zu liefern. Depeche Mode versteht sich weiterhin als Band, die ihr Publikum unterhalten will, auch wenn Trauer ein unvermeidlicher Begleiter dieser Produktionsphase war.

Zwischen Euroracks und Pop-Appeal

Musikalisch deutet vieles auf eine Rückbesinnung, aber auch auf Experimentierfreude hin. Die vorab veröffentlichten Schnipsel lassen Anleihen an die achtziger Jahre erkennen. Laut Gore stammt das Material unter anderem aus der geplanten Single „Ghosts Again“, einem klassischen, fast kommerziellen Depeche-Mode-Track. Parallel dazu gibt es jedoch experimentelle, nach vorn orientierte Stücke. Der Sound entwickelte sich organisch; Gore arbeitete bei den Demos intensiv mit Modularsynthesizern, sogenannten Euroracks. Viele dieser ursprünglichen Demo-Sounds fanden ihren Weg direkt in die finalen Aufnahmen, lediglich verfeinert durch digitale Studiotechnik. Da die Richtung der Songs bereits zementiert war, bevor die Band das Studio betrat, verlief der Aufnahmeprozess ungewöhnlich zügig.

Von der Ankündigung zur Dokumentation

Was in Berlin als Versprechen begann, hat sich mittlerweile manifestiert und wurde nun auch für die Nachwelt festgehalten. Die angekündigte Tournee führte die Band unter anderem nach Mexiko-Stadt, wo sie im September 2023 drei Nächte im gigantischen Foro Sol Stadion spielte. Diese Konzerte markieren einen Höhepunkt der „Memento Mori“-Reise.

Passend zum Jahresende, in einer Zeit, in der auch andere Größen wie die Zac Brown Band oder die Scorpions neues Material veröffentlichen, bringt Depeche Mode dieses Live-Erlebnis nun zu den Fans zurück. Unter den Titeln „Depeche Mode: M“ und „Memento Mori: Mexico City“ veröffentlicht Columbia Records eine umfassende Dokumentation dieser Abende. Während „M“ visuelle Einblicke und Videos des Events liefert, fängt die Audio-Veröffentlichung die Atmosphäre der Konzerte ein. Es ist der Beweis, dass Gahan und Gore ihr in Berlin gegebenes Wort gehalten haben: Die Geschichte von Depeche Mode ist noch lange nicht auserzählt.